Dr. Wolf Karge

Autor, Publizist, Museumsberater

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Hiddensee
Ellert & Richter Verlag
Hamburg 2007
ISBN 978-3-8319-0276-7
Leseprobe:
Hiddensee ist eine Insel

Die Feststellung klingt für Kenner so furchtbar banal, weil sie vergessen, dass in dem Namen eigentlich eine ganz andere Assoziation steckt – eine absurde. Ein See kann keine Insel sein. Wasser ist nun einmal das Gegenteil von Land. Natürlich gibt es dafür Erklärungen: wissenschaftlich-historische und weniger wissenschaftliche. Die pikanteste Erklärung für diese Merkwürdigkeit ist ein wenig unanständig oder zumindest anrüchig. Also, der See ist eigentlich ein Urinsee und er ist das Gewässer zwischen Rügen und Hiddensee – der Insel. Das behaupten zumindest die Legenden- oder Sagenerklärer. Na ja, Andeutungen helfen hier nicht so richtig weiter, und es muss wohl die ganze Geschichte in ihrer ganzen Unappetitlichkeit auf den Tisch – oder eben besser nicht auf den Tisch. Die Sage erzählt von einer Begebenheit in lange verflossenen Zeiten, als es noch keine Schrift gab und alles Wissen an den langen Winterabenden von den Alten an die Kinder weitererzählt wurde. In dieser fernen Zeit gehörte die spätere Insel Hiddensee noch zur Insel Rügen und man verkehrte trockenen Fußes hin und her. Auf diesem westlichen Ende Rügens lebten eine reiche und eine arme Frau. Eines Abends klopfte bei der reichen Frau ein kleines Männlein und begehrte eine Übernachtung. Die Reiche verwies ihn empört des Hofes, und er klopfte bei der armen Frau. Die gab ihm ein bescheidenes Nachtlager – ganz kostenlos. Am folgenden Morgen bedankte sich das Männlein artig mit dem Spruch, dass der Frau die erste Arbeit, die sie verrichte, gesegnet sein möge. Nun begab es sich, dass sie als erstes Tuch zu einem Rock für ihre Tochter vermessen wollte. Doch der Stoff nahm zu ihrem Erstaunen kein Ende, wurde immer mehr und sie auf diese Art eine betuchte Frau. Das erfuhr die Reiche. Das Männlein war zum Glück noch am Ort und willigte ein, bei der reichen Frau zu übernachten, die übrigens Mudder Hidden hieß. Die Nacht verging. Das Männlein verabschiedete sich mit dem gleichen Spruch und Frau Hidden wollte nun flugs ihr Geld zählen, um die Wirkung des Segens in diese Richtung zu lenken. Doch zuvor befiel sie plötzlich ein starker Harndrang (also, sie musste mal), weshalb sie sich noch schnell hinter die Tür hockte. Die Folge war der Hiddensee, der fortab die Inseln trennte. Der Name wechselte von dem Gewässer auf das Land und seitdem heißt die Insel Hiddensee Hiddensee. Später wurde die Geschichte schamhaft ein wenig in ihrer Anrüchigkeit gemildert, wobei Mudder Hidden angeblich zu ihrer Pumpe ging. Doch die Sache liegt so lange zurück, dass es in einer Zeit gewesen sein muss, als es noch gar keine Pumpen gab. Also, man muss auch bei Legenden bei der historischen Wahrheit bleiben.
Na gut, es gibt noch eine andere Erklärung zur Entstehung des Namens. Sie hängt mit der skandinavischen Sprache zusammen: Also, der Saxo Grammaticus, der dänische Geschichtsschreiber des 11./12. Jahrhunderts, schreibt in seiner „Gesta Danorum“ von der „Hedinsey“ – der Insel des König Hedin, was im Skandinavischen „Hedins Oe“ ist. Wenn man das nun schnell vor sich hin nuschelt – eben, dann kommt Hiddensee dabei heraus. Aber spannend ist das nicht. ...
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